Warum Doppelresidenz
Inhalt:
-Obsorge aus emotionaler Sicht
-Obsorge geschichtlich betrachtet
-Machtgefälle
-Gesellschaftspolitische Bewegungen
-Was wäre wenn …
-Es gibt Möglichkeiten diese Situation zu verändern
-Vorteile der Doppelresidenz
Obsorge aus emotionaler Sicht
Stellen Sie sich vor, Sie sind Mutter oder Vater eines Kindes. Sie haben sich seit der Geburt Ihres Kindes die Betreuungszeit mit dem anderen Elternteil geteilt. Sie waren im Karenzurlaub, haben die Arbeitszeit beim Wiedereinstieg um die Hälfte reduziert, um mehr Zeit fürs Kind zu haben. Sie holen das Kind zwei Mal die Woche vom Kindergarten ab und bringen es drei Mal dorthin. Ihr Kind freut sich, wenn Sie es von dort abholen und läuft Ihnen mit offenen Armen entgegen. Manchmal weint es, weil es nicht im Kindergarten bleiben will und streckt die kleinen Arme nach Ihnen aus und es bricht Ihnen das Herz, wenn Sie trotzdem weitergehen, weil Sie wissen dass Sie es dem Kind nicht leichter machen, wenn Sie nochmals umkehren. Sie sehen es mit anderen Kindern spielen, streiten, lachen. Bringen es abends ins Bett und müssen, bevor Sie selbst schlafen gehen immer noch einen Blick auf Ihr Kind werfen, weil es Ihnen einfach ein Bedürfnis ist. Sie verbringen die Wochenenden mit Kind und Partner gemeinsam. Fahren mit ihm auf Urlaub. Sie erfreuen sich an der kindlichen Entdeckungslust, den Lausbüberein und müssen ihm immer wieder mal ein Busserl draufdrücken, weil Ihnen einfach danach ist und Sie so ihre Liebe zu ihrem Kind spontan zum Ausdruck bringen wollen.
Sie sind nicht verheiratet. Die Obsorge liegt ausschließlich beim anderen Elternteil. Die Beziehung scheitert. Sie sind gezwungen, ein neues zu Hause für sich zu suchen. Das Kind bleibt beim anderen Elternteil, weil der es so will. Plötzlich bestimmt über den Umgang mit Ihrem Kind ausschließlich der andere Elternteil. Dieser sagt, dass Kontakte zu Ihrem Kind alle 14 Tage genügend sind, gibt Ihnen die Zeit vor, wann Sie es holen dürfen und wann Sie es zurückbringen müssen. Geht auf Wünsche von Ihnen überhaupt nicht ein. Rügt Sie, wenn Sie das Kind mit zerrissener Hose zurückbringen und droht Ihnen damit, die Besuchszeit zu verkürzen, oder sie überhaupt auszusetzen, nachdem Sie das Kind schon das zweite Mal mit einem Schnupfen zurückgebracht haben. Das Kind läuft Ihnen im Hort nicht mehr mit offenen Armen entgegen, sondern zeigt sich reserviert, abwartend und öffnet sich Ihnen erst nach einiger Zeit. Es weint öfters, wenn es wieder weg muss und versteht nicht, dass es nicht mehr Zeit mit Ihnen verbringen darf. Die Schultasche vom Hort mitzunehmen wird Ihnen verboten, weil einmal ein Papierflieger daraus gefehlt hat, den Ihr Kind in der Schule gebastelt hat und den es Ihnen voll Stolz zeigte, ihn aber dann leider bei Ihnen vergaß. Wollen Sie Ihr Kind zwischen den 14-tägigen Kontakten mal vom Hort abholen bedarf es der Erlaubnis des anderen Elternteils. Informationen bekommen Sie ohne Erlaubnis des anderen Elternteils weder von der Schule noch vom Hort. Der andere Elternteil verspricht Ihnen, dass Sie Ihr Kind jederzeit auch unter der Woche sehen dürfen, aber jedesmal wenn es soweit ist, hat er schon etwas vor mit dem Kind. Sie wissen, dass Ihr Kind mehr Kontakt zu Ihnen haben möchte, manchmal äußert es diesen Wunsch, meist spüren Sie ihn nur. Sie spüren den Impuls, das Kind auf Ihre Seite zu ziehen, es zu Ihren Verbündeten zu machen, tun es aber nicht, weil Sie wissen, dass es unter der Situation leidet und so nur noch mehr zwischen die Mühlsteine geraten würde. Nachdem ein neuer Lebenspartner in Ihr Leben getreten ist, bekommen Sie eine SMS. Sie werden informiert, dass das Kind nicht mehr zu Ihnen möchte und der andere Elternteil das Kind nicht zwingen wird. Längere Zeit sehen Sie Ihr Kind gar nicht mehr.
Schmerz, Ohnmacht und Wut bemächtigt sich Ihrer. Ihr Kind wurde Ihnen von einem Tag auf den anderen entzogen. Dort wo früher Beziehung gelebt wurde, ist nur noch das Gefühl von Verlust und Schmerz. Alle 14 Tage leben diese Gefühle nach der Trennung von Ihrem Kind neu auf. Immer wieder kommen Ihnen die Tränen, nachdem das Kind hinter der Tür verschwunden ist, oder einfach so, mitten unterm Tag, weil Sie irgendwas an Ihr Kind erinnert und die Kraft, Ihren Schmerz zu verdrängen nicht mehr ausreicht. Die Demütigung plötzlich selbst wie ein Kind behandelt zu werden, indem alles über Sie hinweg entschieden wird und Sie jeglicher Entscheidungskompetenz beraubt sind, frisst Sie langsam auf und macht Sie stumpf. Mit der Zeit verstumpfen auch Ihre Gefühle ihrem Kind gegenüber, was Sie, werden Sie sich dessen bewusst, neuerlich zutiefst verletzt und verunsichert. Sie verbergen Ihre Wut so gut es geht, denn Sie wissen, vor Gericht würde es gegen Sie verwendet werden.
Obsorge geschichtlich betrachtet
Diese absurde Situation ist gesellschaftlicher Konsens. In der Absicht dem Kind nach der Trennung eine möglichst konfliktfreie Situation zu ermöglichen wurde eine Rechtssituation geschaffen, die heute genau diese Konflikte heraufbeschwört. Die Obsorge primär an einer Person festzumachen hat geschichtlich betrachtet ihre Berechtigung. Bis 1989 mussten Mütter nach der Scheidung ihren „Ex” um Unterschriften nachlaufen. Die Mütter, damals noch mehrheitlich nicht berufstätig, primär für die Erziehung der Kinder zuständig, war in einer entwürdigenden Situation. Die ganze Verantwortung der Kindererziehung lastete auf ihnen, behördliche Schritte aber mussten auch nach der Scheidung vom Vater abgezeichnet werden. Es war demütigend und wurde zu Recht verändert.
20 Jahre sind seither vergangen. Die Gesellschaft wandelte sich. Frauen arbeiten mehrheitlich. Männer kümmern sich mehr und mehr um die Kinder. Viele Frauen verwechseln die damalige rechtliche Situation aber nach wie vor mit der heutigen und lehnen aus diesem Grund die rechtliche Annäherung beider Elternteile in Bezug auf das Kind, welche mit der gemeinsamen Obsorgemöglichkeit geschaffen wurde, völlig ab.
Die Obsorgeregelung zementierte über lange Jahre tradierte Rollenbilder. Die Mutter wurde von der Gesellschaft als der für die Versorgung des Kindes bedeutende Elternteil angesehen. Die Verantwortung blieb an ihr hängen. Die Väter für die Beziehung zum Kind nur sekundär wichtig erachtet, blieben aus ihrer Verantwortung entlassen (durften aber bis 1989 das Leben der Mütter nach der Scheidung mit ihren Unterschriften schwer machen).
Das Kindschaftsrechtsänderungsgesetz 2001 brachte durch die Obsorge beider Elternteile eine positive Veränderung, blieb jedoch auf halben Wege stehen. Das Gesetz verankerte in der Bevölkerung das Bewußtsein, dass beide Elternteile im Leben des Kindes eine wichtige Rolle spielen sollten. Die Aufrechterhaltung der elterlichen Obsorgerechte nach der Scheidung symbolisierte das. Die Gesetzesänderung hatte bei denen, die sich für die Obsorge beider Elternteile entschieden, einen positiven Einfluss. Es gab einen geringeren Anteil an Kontaktabbrüchen; teilweise ein größeres Engagement der Väter gegenüber den Kindern, als noch bei aufrechter Ehe; häufigere Kontakte zwischen den Kindern und dem getrennt lebenden Elternteil und weniger Konflikte zwischen den Eltern.
Das Gesetz hat jedoch mehrere Schwachstellen.
- Die Obsorge beider Elternteile muss für unehelich geborene Kinder erst beantragt werden.
- Die Obsorge beider Elternteile bedarf der Zustimmung von Vater und Mutter. Ist ein Elternteil dagegen und das vielleicht auch nur aus dem Gefühl des Gekränktseins, der Eifersucht oder andere willkürlicher Gründe, bleibt dem anderen Elternteil die rechtliche Vertretung versagt.
- Unabhängig davon, ob alleinige Obsorge oder Obsorge beider Elternteile vereinbart wird, muss nach derzeitiger Gesetzeslage ein Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind übernehmen, während der andere auf den Part des Besuchselternteiles reduziert wird.
- Wurde die Obsorge beider Elternteile vorerst vereinbart, muss sie aufgehoben werden, wenn sich ein Elternteil ohne Angaben von Gründen dagegen ausspricht.
Machtgefälle
Trennungen verursachen bei Eltern und Kindern Schmerzen. Schmerzen wollen gelindert und öfter auch gerächt werden. Wie kann man sich besser und einfacher rächen als dort anzusetzen wo es am meisten wehtut, beim emotional sensibelsten Teil, der Liebe zum Kind. Machtgefälle macht dies möglich. Dort wo ein Elternteil als der wichtigste auserkoren und diesem primär Entscheidungskompetenz zugewiesen wird, wird Macht gebündelt. Macht ist verführerisch und verleitet zu Missbrauch. Ist dies der Fall kommt es zu Demütigungen, Ohnmachtsgefühlen, Wut und Aggression. Eine Gefühlsmischung die entweder zu andauernden Kämpfen, oder zur Resignation und oft zum totalen Rückzug eines Elternteils führt. Wie Kinder dabei unter die Räder kommen erleben wir in unserem privaten Umfeld und in den Jugendämtern nur allzu oft. Permanente Konflikte zwischen den Eltern und der Verlust eines Elternteils sind erwiesenermaßen die größten Gefährdungsmomente für Kinder nach der Trennung ihrer Eltern.
Die derzeitige gesetzliche Obsorgeregelung ist Basis für dieses Machtgefälle mit den beschriebenen Folgewirkungen. Einem Elternteil wird de facto (nicht de jure) das alleinige Recht übertragen, darüber zu entscheiden ob, wie lange, wie oft, mit wem, in welchen Zeitabständen und wie Besuchskontakte auszusehen haben. Hält sich der Besuchselternteil nicht an dieses Diktat, wird oft mit der Einschränkung oder dem völligen Abbruch der Besuchskontakte gedroht. Schon kleinste Abweichungen von der Meinung des Obsorgeberechtigten können dazu führen. Das Gefühl entmündigt zu sein und permanente Anspannung sind die Folgen.
Die Väterinitiativen sind voll von solchen Geschichten. Komischerweise werden sie nur marginal wahrgenommen oder stehen jahrzehntelang unter dem Schatten ihrer eigenen „Geburtswehen” als sie aus der eigenen Betroffenheit heraus noch emotionaler, mitunter aggressiv und frauenfeindlich, agierten.
Die Behörden (Jugendamt und Gericht) zeigen sich dementsprechend in schwierigen Fällen oft hilflos, bzw. entmündigen sich bereits während des Verfahrens, indem Aussagen getroffen werden, wie „Wenn ich einen Beschluss fasse, dem sie nicht zustimmen können, ist er das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht”.
Sieht die österreichische Gesetzgebung noch Strafen für Eltern, die Kontakte des Kindes zum anderen Elternteil verhindern, vor, schaut es in der Praxis größtenteils anders aus. Gericht und Jugendamt erheben Freiwilligkeit zur Maxime. Strafen werden als kontraproduktiv betrachtet und deshalb so gut wie nie ausgesprochen. Der Willkür wird Tür und Tor geöffnet. Kinder sehen einen Elternteil (meist den Vater) in mehr als 50% der Fälle überhaupt nicht mehr. Ein neues Krankheitsbild PAS etabliert sich zusehends. Trotzdem wird an der Haltung nicht gerüttelt.
H. Figdor, führender Erziehungswissenschafter Österreichs, zu diesem Thema in seinem Buch „Scheidungskinder – Wege der Hilfe”: „Interventionen, die darauf hinauslaufen, eine bestehende Beziehung zu sichern oder eine unterbrochene Beziehung (etwa zum Vater) wieder herzustellen, dienen den Entwicklungsinteressen der Kinder auch dann, wenn sich die sorgeberechtigte Mutter oder das Kind selbst gegen diese Beziehung wendet.”
Eine provokante These. 90 % der Kinder leben nach der Trennung bei Müttern. 90 % der Sachverständigen in der Jugendwohlfahrt sind Frauen. Ist es sehr gewagt einen Zusammenhang darin zu erkennen, dass sich auf dieser Ebene keine Veränderung abzeichnet?
Zur Klarstellung. Viele Probleme entstehen, weil Väter ihre Verantwortung nicht wahrnehmen. Vielen Müttern ist es ein großes Anliegen, den Vätern mehr in die Betreuungsverantwortung zu nehmen, weil sie unmittelbar erleben, wie ihrem Kind der Vater fehlt. Viele Väter lassen sich trotz Engagement der Mütter nicht blicken.
Gesellschaftspolitische Bewegungen
In diesem Beitrag geht es aber um die größer werdende Anzahl von Vätern, die sich der Kinder während aufrechter Beziehung angenommen haben und es auch nach der Trennung tun wollen. Noch eine Minderheit, aber Väter die sich der gesellschaftspolitischen Forderung, primär getragen von Frauen, stellt. Väter die Verantwortung in der Familie, den Kindern gegenüber übernehmen. Väter die der Forderung nach halbe/halbe nachkommen, die aber kaum geschieden in einen völligen rechtlosen Zustand geraten. Einem rechtlosen Zustand, der es Ihnen oft schwierig macht Ihrer Verantwortung gegenüber dem Kind gerecht zu werden. 50 % der Kinder wächst bei getrennt lebenden Eltern auf.
Besonders linksorientierte Bewegungen, machen sich stark für die Gleichstellung von Frauen und Männern, für Chancengleichheit im Beruf, für halbe/halbe Aufteilung von Belastungen im Haushalt. Das Absurde ist, dass sie für den Fall einer Trennung diese Grundsätze nicht mehr vertreten. Ignoriert werden völlig die einheitlich positiven Studienergebnisse hinsichtlich Obsorge beider Eltern, die es dazu im Ausland und in Österreich gibt. Ignoriert werden positive Studienergebnisse zum Thema Doppelresidenz. Ignoriert werden außerdem Erfahrungen anderer Länder. Ein Blick über die Grenze tut gut. Österreichische Kinder sind nicht anders als z.B. belgische, französische, schwedische, deutsche, italienische u.a.m. Kinder. Staaten die sich schon vor längerer Zeit für die gemeinsame Obsorge entschieden und positive Erfahrungen machten. Einige haben sich bereits für den nächsten Schritt entschieden. In Frankreich ist das Doppelresidenzmodell von der sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidatin Ségoléne Royal 2002 eingeführt worden. Belgien hat 2006 die Doppelresidenz überhaupt zum prioritären Modell gemacht. Auch das familienpolitisch konservative Italien hat der Doppelresidenz einen Platz eingeräumt. Ziel war es, dass alle getrennt lebenden Kinder möglichst gleich viel Zeit mit beiden Eltern verbringen können.
Was wäre wenn…..
Konfrontiert man Mütter in Österreich mit der Obsorgefrage und mit der hypothetischen Frage, wie es Ihnen gehen würde, wenn der hauptsächliche Aufenthalt bzw. die alleinige Obsorge für ihre Kinder nach der Trennung beim Vater wäre und sie ihr Kind nur noch alle 14 Tage sehen könnten, reagieren sie relativ einheitlich so „Das würde ich nicht aushalten. Ich tu mir schon schwer mich vom Kind zu verabschieden, wenn es alle 14 Tage ins Wochenende zum Vater geht”. Noch drastischer formulierten es manche so „Da würd ich durchdrehen.”
Väter denen ihr Kind seit der Geburt Zeit wert war, erleben es nicht anders.
Wäre es grundsätzlich die beste Lösung für die Kinder, nach der Trennung bei nur einem Elternteil aufzuwachsen, dann wäre dieses Opfer von einem Elternteil zu verlangen gut und gerecht. Erfahrungen von Eltern, die ihren Kindern gleichen Kontakt zu beiden Elternteilen ermöglichten sprechen jedoch klar dagegen. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen ebenfalls.
Für Kinder stellt die Möglichkeit in Doppelresidenz zu leben das beste Lebensmodell nach der Trennung der Eltern dar. Selbstverständlich darf es nicht blind auf alle Familien umgesetzt werden. Wichtigste Ausschließungsfaktoren sind, dass es nicht einen gibt der diese Verantwortung gar nicht übernehmen möchte und eine drohende Gefährdung des Kindes.
Der Vorwurf, dass das Kind in zwei Wohnungen zerrissen wird – weil, wer möchte schon als Erwachsener in zwei Wohnungen aufwachsen, so die übliche Gegenfrage auf das Doppelresidenzmodell – löst sich spätestens dann auf, wenn man sich die Erfahrungen der Eltern mit ihren Kindern anschaut.
Derzeit erleben viele Kinder unterschiedliche Betreuungssituationen. Unter der Woche oft ganztags im Kindergarten, oder Vormittags in der Schule und Nachmittags im Hort. Am Abend und am Wochenende bei der Mutter oft auch den Großeltern, wie die Berufstätigkeit es so erfordert. Hin und wieder werden auch Freunde zur Betreuung eingespannt. Viele Bezugspersonen also. Die Kinder kommen gut zurecht damit. Trotzdem stößt der Gedanke, dass das Kind zwei Hauptwohnsitze hat auf Unverständnis und reflexartige Ablehnung. Zu Hause ist für das Kind primär dort, wo es mit Menschen ist denen es vertraut, die es liebt, wo es sich geborgen fühlt. Die tatsächlichen Räumlichkeiten machen in der Praxis in der Regel das geringste Problem.
Grundsätzlich gilt. Keine Lösung ist für alle richtig. Die Frage, die man sich jedoch stellen muss, ist: Was tut man um Konflikte zu vermeiden bzw. Voraussetzungen zu schaffen die dem Kind zugute kommen. Das derzeitige Modell der Obsorge, mit unbedingter Zustimmung beider Elternteile, schafft nicht das Ziel welches angepeilt wurde, nämlich klare Verhältnisse zum Wohle des Kindes.
Es gibt Möglichkeiten diese Situation zu verändern.
- Die gemeinsame Obsorge für beide Elternteile ab Geburt, ungeachtet ob verheiratet oder nicht. Die Aufhebung derselben nur bei Gefährdung des Kindes.
Ziel: Augenhöhe zwischen den Elternteilen herzustellen und das Selbstverständnis verstärken, dass das Kind zwei Elternteile und nicht nur einen hat. - Einführung der Doppelresidenz mit Prioritätsanspruch.
Ziel: Dem Kind, trotz Trennung, die Möglichkeit zu geben, beide Elternteile erleben zu dürfen. Und den Eltern, trotz Trennung, die Möglichkeit zu geben, das Kind im Alltag erleben zu dürfen. - Beratungspflicht bei Sorgerechtsstreitigkeiten. (Beratung/Therapie im Rahmen bedingter Freiwilligkeit passiert täglich und funktioniert – im Jugendamt; bei straffälligen Männern; bei Kindern)
- Kontaktbehinderung zum getrennt lebenden Elternteil soll mit einem Obsorgewechsel entgegengewirkt werden können.
Neue Gesetze lösen Diskussionen aus. Gesellschaftlich etablierte Normen werden in Frage gestellt und sollen letztlich neue anerkannte Leitbildern entstehen lassen. Gesetze sollen bewußtseinsstiftend sein. So geschehen zum Beispiel beim KindRÄG, in welchem 2001 die Obsorge beider Eltern (ObE) verankert wurde. Das Konfliktverhalten der Eltern, die sich für die ObE entschieden haben, verbesserte sich. Das Engagement der Väter gegenüber den Kindern nahm zu. Besuchskontaktabbrüche nahmen ab. Die Zahlungsmoral verbesserte sich ebenfalls. (siehe Studie von Barth-Richtarz, Figdor / eigene als Sozialarbeiter im Jugendamt gemachte Erfahrungen bestätigen diese Ergebnisse).
In Deutschland gestaltete man das Gesetz 1998 verbindlicher. Ein Ausstieg aus der gemeinsamen Obsorge muss dort schon begründet werden, mit dem Ergebnis, das die Abbrüche von Besuchskontakten drastisch reduziert wurden. (Studie von Proksch 2002 zitiert in „Väter im Abseits” Seite 93 von Miriam Irene Tazi-Preve)
Noch klarer positionierten sich die Schweden. Be- bzw. verhindert dort ein Elternteil grundlos die Kontakte des Kindes zum anderen Elternteil, wird dem Gericht nahegelegt die Obsorgerechte auf den anderen Elternteil zu übertragen. Ergebnis: Abbrüche von Besuchskontakten nahmen radikal ab.
Gesetze führen zu Haltungsänderungen. Hier zum Wohle des Kindes.
Abschließen möchte ich dieses Kapitel mit einem Zitat aus dem bereits erwähnten Buch von Figdor: “Ein großer Teil jener Bedingungen, die eine gute Bewältigung der Scheidung durch die Kinder heute erschweren bzw. die dafür verantwortlich sind, dass so viele Kinder heutzutage durch die Scheidung ihrer Eltern traumatisiert werden, gehen auf ein Versagen der gegenwärtigen Gesellschaftspolitik in vielen Ländern zurück. Von allen Maßnahmen, die ergriffen werden müssten, um das gegenwärtige Elend der meisten Scheidungskinder zu lindern und neue Entwicklungschancen zu eröffnen, ist die Verabschiedung eines neuen Gesetzes zweifellos die billigste.” (Seite 236)
Vorteile der Doppelresidenz:
Für die Kinder:
- Kinder können zu beiden Elternteilen einen intensiven Kontakt halten und verlieren weder Vater noch Mutter aus ihrem alltäglichen Leben.
- Die Loyalitätskonflikte des Kindes verringern sich, da es sich nicht für oder gegen einen Elternteil entscheiden muss.
- Die Verlustgefühle, die die Kinder bei einer Trennung erleben, können so reduziert werden. Vater und Mutter bleiben Teil des Alltags.
- Das Kind erlebt nicht einen Elternteil primär für den Alltag und den Besuchselternteil nur für Freizeit und Abenteuer zuständig, sondern wird von jedem positiv beeinflusst.
- Dem höheren Risiko, welchem Kinder von Alleinerziehenden Elternteilen ausgesetzt sind ein dissoziales Verhaltensmuster zu entwickeln mit Nachteilen in der Schullaufbahn und einem geringeren Selbstwertgefühl wird entgegengewirkt.
- Kinder, welche in einem Doppelresidenzmodell sozialisiert werden, sind laut Studie psychisch stabiler, ausgeglichener und mit einem größeren Selbstwertgefühl.
Für die Eltern:
- Weil Mütter und Väter ihre Kinder lieben und sie nicht verlieren wollen.
- Weil beide Elternteile durch den Alltagsbezug ihre Erziehungsverantwortung gleichermaßen wahrnehmen können.
- Weil eine intensive Beziehung zu einem Kind, wie jede andere Beziehung nur dann stark sein kann, wenn sie häufig und mit genügend Zeit verbracht werden kann.
- Weil es durch die DR zu einem Machtgleichgewicht kommt, welches Konflikte verhindert und Diskussionen, mit dem Ziel, das Beste fürs Kind zu erreichen, ermöglicht.
- Weil kein Elternteil aufgrund der Willkür des anderen den Kontakt zum Kind verlieren kann.
- Weil es den Eltern ermöglicht die Entwicklung ihres Kindes gleichermaßen miterleben zu können.
- Weil Väter und Mütter nach der Trennung Zeit haben um sich auf neue Partnerschaften einlassen zu können oder einfach nur Zeit für sich haben und sie sich sicher sein können, dass ihr Kind inzwischen in guten Händen ist.
- Weil der Wiedereinstieg ins Berufsleben und der berufliche Werdegang erleichtert wird.
- Pflegeurlaube, Urlaube in Ferienzeiten und das tägliche Abholen von der Tagesbetreuung können aufgeteilt werden und entlasten.
- Weil es erwiesenermaßen zu weniger Konflikten zwischen den Eltern kommt.
- Weil die Doppelresidenz erwiesenermaßen die beste Lebensform nach der Trennung der Eltern ist.
Pototschnig Anton
Dipl. Sozialarbeiter