Vortrag Rudolph zum Cochemer Modell
Cochemer ModellJürgen Rudolf, Richter am Familiengericht A.D. und Mitbegründer des Cochemer Modells. Zusammenfassung und Mitschrift: Vortrag im Rahmen einer Enquete in den Räumlichkeiten der Niederösterreichischen Landesregierung am 22.11.2010.
Rudolph begann mit der Geschichte eines prominenten Paares, welches sich nach anfänglicher Liebe und zwei Kinder später wieder trennte. Nach erbitterten Kampf fiel das Sorgerecht dem Vater zu. Die gerichtliche Entscheidung enthielt außerdem den Zusatz, dass die Mutter für zwei Jahre von dem Umgang mit den Kindern ausgeschlossen war. Als er nun die Kollegin die für diese Entscheidung verantwortlich zeichnete danach fragte wie sie so eine Entscheidung treffen konnte meinte sie: „Fragen sie die Sachverständige…”. Als er nun auch diese traf und sie nach ihren Motiven fragte antwortete sie: „Hab ich entschieden oder die Richterin”. Keiner übernahm die Verantwortung. Später meinte Rudolph: „Ich habe 13 Jahre lang dieselbe Blutspur hinterlasse, wie viele Kollegen es noch heute tun.”
Es werden Lebensentscheidende Weichen für die Kinder und die beteiligten Erwachsenen gestellt aber es gibt keinen der greifbar die Verantwortung übernimmt. Um diese Aussage zu veranschaulichen greift Rudolf wieder auf den oben zitierten Fall zurück und zählt die daran beteiligten Professionisten auf: Eine Richterin, 2 Rechtsanwälte, eine Mitarbeiterin des Jugendamtes, eine Sachverständige und eine Verfahrenspflegerin. Nachdem die Eltern durch alle Instanzen gingen waren noch zusätzlich 3 Richter beteiligt. Ein Dutzend von Erwachsenen die, wie Rudolph meinte „die Kiste an die Wand gefahren haben.”
Rudolph hält fest dass es sich bei geschilderter Situation um eine Standartsituation handelte. Rufen wir uns die in diesem Buch anfangs geschilderten Fälle in Erinnerung so kommen wir zu ähnlichen Ergebnissen. Rudolph erinnert sich an seine Anfangszeit als Familienrichter und daran, dass er ohne jegliche Ausbildung in einen der sensibelsten Bereiche der Gesellschaft losgelassen wurde, was er als unverantwortlich ansieht. Auch hier kein Unterschied zu Östereich.
1992 setzten sich auf Initiative der Psychologen alle mit der Problematik befassten Professionen an einen Tisch. Ziel war es sich über die gegeseitige Arbeitsweise zu unterhalten. Hintergrund war, dass fast jede Profession sehr unzufrieden war mit der jeweils anderen. Die Richter und die Jugendämter empfanden die Rechtsanwälte als ausgesprochen konflicktträchtig, die Richter waren unzufrieden mit den Jugendämtern weil sie immer alle zu Gericht schickten, die Beratungsstellen waren nicht erreichbar, usw.
Dabei stellten sie fest, dass eine Menschengruppe nämlich die Kinder über überhaupt keine Lobby verfügten und das sie wenig über sie und deren Sichtweisen wußten. Nun fühlen sich Kinder oft schuldig an der Scheidung der Eltern, weil sie den Kanarienvogel nicht gefüttert, den Hund nicht Gassi geführt, oder das Zimmer nicht aufgeräumt haben. All das hat man von den Kindern schon mal gehört. Sie sagen „ich bin es nicht mehr wert das Vater oder Mutter noch länger hierbleiben.” „Es muss was mit mir zu tun haben, dass sich die Eltern trennen.”
Daraufhin beschlossen wir die Sichtweise der Kinder zur Handlungsmaxime aller Beteiligter zu machen. Und wenn sie sich einmal bemühen die ganze Situation aus der Sicht der Kinder zu betrachten dann interessieren sie sich auch nicht mehr für Gechlechterkämpfe. Dazu muss gesagt sein, dass es mittlerweile immer mehr ausgehebelte Mütter gibt. Mütter die von der Arbeit nach Hause kommen der Mann und die Kinder sind weg und sie sehen beide über Jahre nicht mehr. Egal ob Väter oder Frauen ausgegrenzt werden, die Strukturen ähneln sich in beiden Fällen. Um zu verstehen was die Kindersicht bedeutet muss man sich aber mal so ein Verfahren anschaun.
Trennen sich die Eltern stellen sie in der Regel einen Antrag bei Gericht, was der Beginn einer Schmutzwäscherei ist. Die Eltern lesen dann wie auf 17 Seiten ihre Ehe zusammengefasst ist, sind völlig entsetzt und vom Rechtsanwalt gestärkt der meint „da halten wir dagegen” ihrerseits einen Schriftsatz aufsetzen der letztlich beim Jugendamt landet. Bei den Jugendämtern bleibt es dann eine Zeit lang liegen, weil sie völlig überlastet sind. In der Stellungnahme des Jugendamtes steht letztlich, dass sie einen Hausbesuch gemacht haben, dass die Wohnung ok. ist, dass der Freundeskreis vorhanden ist und die Schule in der Nähe ist und also alles so belassen werden soll wie es ist. Je nachdem wen es betrifft, gibt es ab nun einen zusätzlichen Gegner für einen der Elternteile. In dieser Phase treffen Richter völlig verhärtete Fronten vor. In ihrer Not bedienen sie sich gerichtlicher Sachverständiger. Auch die teilen mit, dass sie überlastet sind und wenn man Glück hat, hat man ein dreiviertel Jahr später ein Sachverständigengutachten in den Händen. Dann wird erneut terminisiert und niemand weiß mehr wie er mit der Sit. umgehen soll. Auch die Sachverständigen nicht, weshalb sie vorschlagen, es müsste einmal Ruhe einkehren weshalb man den querulierenden Vater oder die Mutter mal zwei Jahre von den Kontakten zum Kind ausschließt. Wir Richter schließen uns dann den sehr ausführlichen und professionellen Erläuterungen an und beschließen dass dann auch, aber die Ruhe die dann einkehrt ist eine Friedhofsruhe.
Wissen sie was drei Monate sind im Alter eines dreijährigen Kindes. Können sie sich noch erinnern als sie als Kind an Weihnachten gedacht haben und dachten das kommt nie daher. Oder was ein halbes Jahr ist im Alter von einem 12 jährigen Menschen. Und wenn wir als Erwachsene dazu sagen „Das geht nicht schneller müssen wir uns fragen, was hat das mit dem Kindeswohl zu tun?” Das hat mit unseren Institutionen zu tun aber nicht mit dem Kindeswohl.
Wir beschlossen also die Sichtweise der Kinder einzunehmen und kamen zu den ersten Kriterien:
1. Die Frühe Intervention. Innerhalb von 14 Tagen muss der erste Termin zustande kommen. Andere Verfahren werden zurückgestellt und die Rechtsanwälte wurden verpflichtet keine Schmutzwäsche mehr zu waschen (also keine schriftlichen Anträge einzubringen). Weiters müssen die Jugendämter zu diesem Termin erscheinen und sie müssen vorher in der Familie gewesen sein. Im Gegenzug wurde auf schriftliche Stellungnahmen verzichtet.
2. Beratungspflicht: Gleichzeitig wurde beschlossen dass die Eltern wenn sie zu keiner Einigung kommen in die Beratungsstelle gehen müssen. Auch diese mussten innerhalb von zwei Wochen einen Termin zur Verfügung stellen. Ziel war es die Eltern wegen der minimalsten Belange der Kinder wieder in die Kommunikation zu bringen. Als minimalste Belange sehen wir die Frage an: Wann holst du ihn ab, wann bringst du ihn wieder zurück. Beim ersten Termin wurden den Eltern klar vermittelt, dass ein Aushebeln des anderen Elternteiles nicht erreicht werden kann. Weigerte sich einer die Beratung zu besuchen, wurde dem Vater der Besuche zum Kind haben wollte klar vermittelt, dass in diesem Fall angenommen wird, dass er kein großes Interesse an Kontakten zum Kind haben könne und der Mutter dass ein Verfahrenspfleger eingesetzt wird sollte sie damit erreichen wollen die Kontakte zum Vater auszuhebeln. Wir setzten die Eltern auch insofern unter Druck als das wir ihnen vermittelten dass der jeweilige Antrag abgelehnt werden würde. Die Eltern gehen dann, vom Sozialarbeiter begleitet, widerwillig direkt in die Beratungsstelle um einen Termin zu vereinbaren. Sie werden nicht aus der Kontrolle gelassen. Die Eltern sind also angekommen und es war nun die Aufgabe der Profis diese Eltern zu erreichen, was sie in der Regel auch tun. Schon vorher wurden mit den Eltern ein neuer Gerichtstermin vereinbart. Die Eltern befanden sich also unter der absoluten Regie des Verfahrens.
Wir schicken die Eltern auf einen Weg auf dem sie die Chance haben die Lösung selber zu erarbeiten.
Wir haben den Spieß umgedreht. Wir haben uns nicht von dem Streit der Eltern instrumentalisieren lassen, sondern wir haben die Richtinien bestimmt und kamen zu vollkommen andere Ergebnissen.
Diese frühe Regelungen haben den Vorteil dass bisher keine Entfremdungen eingetreten sind.
3. Sachverständige mit Exekutionsgewalt ausgestattet. Wenn Eltern sich verweigerten mit dem Sachverständigen zusammenzuarbeiten hatte dieser die nötigen Exekutionsmacht, die Eltern dazu zu zwingen zu den Terminen zu kommen.
Diese interdisziplinäre Arbeitsform bedarf der Installierung, der Pflege und der Wartung. Deshalb gibt einmal im Monat ein Treffen aus allen Disziplinen, einmal beim Gericht, einmal beim Jugendamt usw. Erster Teil der Besprechung Allgemeines. Zweiter Teil: Intervision und Reflexion der eigenen Arbeit und als Dritter Teil werden bestimmte Themen behandelt (zB Gewalt in der Familie, ..). Wir bezeichnen das interdisziplinäre Modell als ein Modell auf vier Rädern mit Motor. Das Gericht stellt dabei den Motor dar. Jugendamt, Rechtsanwälte, Sachverständige und Berater stellen die vier Räder dar. In unserem Selbstverständnis gibt es jedoch keinen wichtigeren Teil. Denn fehlt ein Rad nützt der Motor auch nichts mehr.
Alle Treffen sind offene Treffen, jeder kann daran teilnehmen. Neben Journalisten sind immer auch auch sehr viele Leute gekommen. Auch daran lässt sich erkennen, was für ein gesellschaftliches Problem es darstellt. Eine Bemerkung dazu. Daimler-Benz hat Psychologen eingestellte die ausschließlich die Aufgabe haben Eltern zu betreuen die vom Verlust ihrer Kinder betroffen sind. Die Manager meinen, die Kosten für die Psychologen kämen ihnen billiger als der Verlust der Arbeitskraft aufgrund der psychischen Belastung mit der sie leben müssen. Die Psychologen sind der Überzeugung, dass sie den sichersten Job von allen haben.
Rudolph wurde öfter darauf angesprochen, dass dieses Modell nur in kleinen Städten möglich ist. Mittlerweile gibt es dieses Modell aber auch in Berlin. Menschen die nur über Berlin bescheid wissen, meinen demhingegen, dass dieses Modell nur in großen Städten funktionieren könne. Nicht technische Problem stehen dem Modell entgegen sondern Haltungsfragen. Mittlerweile gibt es ein
Ende des Vortrages von Rudolph.